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Chernobyl

Es war die bisher schwerste nukleare Katastrophe, als am 25.04.1986 der Reaktor Tschernobyl explodierte und Radioaktivität in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß freisetzte. Auf der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse wurde sie als erstes Ereignis in die höchste Kategorie eingeordnet. Dieses Ereignis wurde nun als auf Tatsachen basierende Mini-Serie aufbereitet und liegt nun auf DVD und BluRay für das Heimkino vor.

In der Nacht von 24. auf 25. April 1986 wurde im Reaktor Tschernobyl eine Simulation eines vollständigen Stromausfalls durchgeführt. Hierdurch kam es zur Katastrophe, in der der Reaktor explodierte, nachdem es zu einem unkontrollierten Leistungsanstieg kam. Der Leiter der Simulation wollte das Ausmaß dieser Katastrophe nicht erkennen, und so wurde in den ersten Berichten an die Sowjetführung nur von einem kleinen Unfall gesprochen und die Lage verharmlost. Erst als die westlichen Medien auf Grundlage von Strahlenmessungen und Satellitenaufnahmen von dieser Katastrophe berichten, und der Wissenschaftler Waleri Legassow von der sowjetischen Regierung als Experte hinzugezogen wird, erkennt auch Staatspräsident Gorbatschow, welches Unglück geschehen ist. Zusammen mit der Wissenschaftlerin Ulana Khomyuk sucht Legassow nach einer schnellen Lösung in dieser Katastrophe, die zehntausenden Menschen das Leben kosten soll.
Bei der Aufarbeitung und Ermittlung darüber, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, wird weiter gelogen und verharmlost, und so kommen die Hauptverantwortlichen mit zu milden Strafen davon.

Die fünfteilige Mini-Serie liegt auf zwei DVDs in der deutschen und englischen Sprachfassung (Dolby Digital 5.1) vor. Extras gibt es keine.

Auf der Suche nach spannenden und weltbekannten Themen war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Streamingdienst sich dieses Themas annehmen würde. Allein der Ankündigung, die nukleare Katastrophe von Tschernobyl als Serie-Event verfilmen zu wollen, brachte ein weltweites Medienecho. Nachdem 33 Jahre und zehn Tage nach dieser Katastrophe der Fünfteiler vorgestellt wurde, gab es erneut eine weltweite Berichterstattung, wie auch begeisterte Reaktionen der Zuschauer, wobei die meisten davon zum Zeitpunkt der Katastrophe noch gar nicht auf der Welt waren. Doch nutzt "Chernobyl" somit auch als anschaulich gemachte Geschichtsstunde des düstersten Kapitels der Nukleargeschichte.

Die in der Mini-Serie unaufgeregt erzählte Geschichte beruht auf Fakten und erzählt die wahren Verläufe während und nach dieser Katastrophe, die handelnden Personen hat es, mit Ausnahme von Ulana Khomyuk, die stellvertretend für alle beteiligten Wissenschaftler für die Serie erfunden wurde, wirklich so gegeben, wie man im Abspann der letzten Folge nachlesen kann.

Die Rollen in dieser britisch-amerikanischen Co-Produktion sind allesamt handverlesen mit dem besten, was es an europäischen Akteuren gibt, darunter Emily Watson, Jared Harris, Stellan Skarsgård und Jessie Buckley. Etwas befremdlich wirkt es schon, wenn die gezeigten historischen Personen in der Originalfassung mit breitem britischem Akzent reden, doch ihr Schauspiel ist exzellent.

Die Musik der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir spielt in dieser Mini-Serie eine untergeordnete Rolle und wird entsprechend wohldosiert eingesetzt. Vor- und Abspann werden vielmehr mit dem Geräusch eines Geigerzählers versehen.

Zahlreiche Kritiker streiten darüber, ob der gezeigte sowjetische Apparatschik wirklich so unbeweglich und begriffsstutzig war, oder ob sich hierbei Autor und Showrunner Craig Mazin nicht zu sehr aus dem Fenster gelehnt hat. Klar wird dabei aber auf alle Fälle, dass die Politik den Fakten der Wissenschaftler glauben schenken sollte, vor allem, wenn sie so klar sind. Ein deutlicher Hieb vor allem gegen aktuelle Politiker, die gerne Fakten leugnen.

Befremdlich zu sehen ist es durchgehend, wie wenig die Politik auf die Ereignisse reagiert, die außer Kontrolle geratene Situation nicht beherrschen kann, und die Bevölkerung weder informiert oder evakuiert, diese jedoch vollkommen verstrahlt langsam und mitunter sehr qualvoll stirbt. Auch ist es schwer zu ertragen, wenn Wissenschaftler den sowjetischen Staatspräsidenten um Erlaubnis bitten, Menschen in den sicheren Tod schicken zu dürfen, indem sie Arbeiter mitten in den Reaktor entsenden, um dort mit wenig Schutz vor Strahlung zu arbeiten, um der Lage Herr werden zu können.

Eine fröhliche oder gar stimmungserhellende Serie ist "Chernobyl" ganz sicherlich nicht, nur nebenher an einem lauschigen Samstagabend sieht man sich ein so heftiges Thema sicherlich nicht an. Dennoch ist es wichtig, diese Nuklearkatastrophe entweder wieder ins Gedächtnis zu rufen oder den Millennials überhaupt erst zu erklären, was da vor über 30 Jahren in unserer Nähe passiert ist, und welche Risiken noch immer durch veraltete Nuklearanlagen bestehen. Der Wind hat die Radioaktivität damals bis nach Mittel- und Westeuropa gebracht, und so waren auch wir damals zumindest mittelbar betroffen.

Ebenso wird klar, dass die Gefahr in Tschernobyl keineswegs gebannt wurde, denn nach der Katastrophe wurde lediglich im November 1986 ein aus Stahlbeton bestehender provisorischer Schutzmantel um den zerstörten Reaktor gebaut. Eine echte Lösung ist das sicherlich nicht.

"Chernobyl" hinterlässt seine Zuschauer tief betroffen und sprachlos, und genau das möchte die Mini-Serie auch schaffen. So wird nicht nur über diese herausragend geschriebene und inszenierte Serie sondern auch oder wieder über das Für und Wider der Atompolitik geredet. Auch das kann als Beitrag zu "Friday For Future" gesehen werden.

Ganz sicher ist "Chernobyl" eine Verneigung vor den Menschen, die ihr Leben geopfert haben, um noch Schlimmeres zu verhindern.

Pascal May