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Wilde Unschuld

„Wilde Unschuld“ beruht auf dem preisgekrönten Tatsachenroman „Savage Grace“ und schildert den bis dato unvergessenen Mordfall an Barbara Baekeland, der noch immer tief verwurzelt in der englischen wie amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Im Milieu der amerikanischen Upper Class heiratet die aus armen Verhältnissen kommende Barbara Daly (Julianne Moore) den reichen Erben des Bakelit-Imperiums, Brooks Baekeland (Stephen Dillane). Durch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Tony (Eddie Redmayne) gerät das ohnehin schon gestörte Eheverhältnis vollkommen aus der Balance. Während das Familienoberhaupt sich in Affären mit deutlich jüngeren Frauen verliert, flüchtet Barbara Baekeland zum deutlich jüngeren Sohnemann, der fortan als emotionale Stütze herhalten muss. Und noch vieles mehr…
Regisseur Tom Kalin erzählt die Geschichte der Baekelands über vier Jahrzehnte hinweg (1946 – 1972) und bedient sich dabei wunderschöner Kulissen von New York über Mallorca bis zum London der 70er Jahre. Dabei bleibt das Schauspielerensemble jedoch so blass und oberflächlich wie die Rollen, die sie spielen. Und selbst die gewohnt gute Julianne Moore, die auch hier eine grundsätzlich gute Leistung abliefert, verfällt mit zunehmender Laufzeit in eher zu belächelndes Overacting. Hinzu kommt das comichaft und klischeeüberfrachtet inszenierte Bild der Upper Class, und die ständig dudelnde Fahrstuhlmusik, die dieses grotesk anmutende Szenario auch noch mit unerträglich repetierenden Tönen unterstreicht. „So war es aber wirklich!“, mag da der ein oder andere vermutlich aufschreien, doch gibt es noch einen riesigen Unterschied zwischen einer differenzierten Darstellung einer oberflächlichen Gesellschaftsschicht und dem hier mit Stereotypen gespickten Abziehbild.
Kalins Regie ist dabei nicht weniger farb- und einfallslos und man wird das Gefühl nicht los, dass einzig und allein auf den skandalösen Stoff als Zugpferd gesetzt wurde. Von den Kulissen bis zu den Kostümen und Frisuren stimmt bei der Ausstattung alles, gerade im Hinblick auf die schwierige Darstellung über 4 Jahrzehnte hinweg, doch bleibt „Wilde Unschuld“ nicht mehr als ein eintöniger Versuch den Zuschauer mit ödipalen Schockmomenten bei der Stange zu halten, und das ist einfach zu wenig.
Eine erschreckende und aufwühlende Geschichte, in deren filmischer Umsetzung nichts mehr von dessen Brisanz zu spüren ist und so fragt man sich nach 96 Minuten und gefühlten 2 ½ Stunden Laufzeit am Ende nur noch: War dieser Film nun wirklich nötig? Die Antwort kann sich jeder selbst geben, ab 8. Mai 2008 im Kino.

Pascal May