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M - Eine Stadt sucht einen Mörder

Schon länger hält sich der Trend, alte Filme und Fernsehserien aufzupolieren und neu zu verfilmen. Die RTL Sendergruppe hat nun zusammen mit dem ORF sehr tief in die Mottenkiste gegriffen, um Fritz Langs Meisterwerk "M" aus dem Jahr 1931 zeitgemäß und aufgefrischt als Serie zu verfilmen. Kurz nach Ausstrahlung der Serie zunächst im ORF und danach im RTL-eigenen Streamingdienst TVNow liegt der Sechsteiler auf BluRay und DVD vor.

In Wien verschwindet ein afghanisches Flüchtlingsmädchen, die mit ihrer Familie in einem Flüchtlingsheim lebt. Kurze Zeit später verschwindet auch die achtjährige Elsie. Dieser Vorfall beschäftigt die Wiener Bevölkerung sehr, so dass neben Ermittlern der Polizei schnell auch Privatpersonen, Medien und andere Gruppierungen die Suche nach dem vermeintlichen Kindermörder aufnehmen. Ein Mörder wird bereits gesucht, bevor überhaupt klar ist, dass die Kinder ums Leben gekommen sind. Bei der durch Medien und Politik emotional aufgeheizten Suche verdächtigt plötzlich jeder jeden, und langsam kommen Geflechte und Beziehungen zum Vorschein, die gerne im Verborgenen geblieben wären. Teil dieser Geflechte sind auch Teile der Unterwelt, für die die Suche nach dem Mörder geschäftsschädigend ist, und die somit auch ein vitales Interesse daran haben, dass so schnell wie möglich wieder Ruhe einkehrt und die Geschäfte wieder wie zuvor unbehelligt laufen. Die Arbeit der Polizei wird durch einen selbsternannten Seher zusätzlich erschwert, der den Eltern der verschwundenen Elsie Hoffnung macht, weil er angeblich in Kontakt mit ihr steht. Ein älterer Mann, der ständig mit seiner alten Kamera fotografiert, kommt ebenso in Verdacht, etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun zu haben, wie ein Lehrer oder ein Hundebesitzer. Elsies Eltern gehen schon längst emotional getrennte Wege und bereiten der Kleinen ohnehin kein allzu schönes Zuhause. Der Innenminister, der sich als unfehlbarer Sonnenkönig fühlt und gerne nackt im Spiegel ansieht, nutzt die Stimmung für seine Politik und überzogene Forderungen nach mehr Überwachung und weniger Privatsphäre. Ihm zur Seite stehen eine Polizeipsychologin sowie die örtliche Polizeichefin. Immer mehr wird klar, in welchem Sumpf sich die Stadt befindet, und dass jeder ein berechtigtes Interesse daran hat, dass alles wieder in aller Ruhe seiner Wege geht wie vor dem Verbrechen.

Die sechs Teile liegen auf zwei BluRays in der deutschen Sprachfassung vor. An Extras findet sich lediglich ein 25-minütiges Making Of.

Da haben sich RTL und ORF eine ganze Menge vorgenommen! Sich ausgerechnet den Klassiker von Fritz Lang, der auch heute noch ebenso aktuell seine Geschichte wie 1931 erzählt, vorzunehmen, zeugt von jeder Menge Mut. Eine Neuverfilmung von "M" war immer wieder im Gespräch, den Film in einer Serie neu zu interpretieren kann zumindest als sehr gewagt angesehen werden. Getraut hat sich der österreichische Regisseur David Schalko, der zuvor mit seinen beiden Serien "Braunschlag" und "Altes Geld" für Aufsehen und Unterhaltung gesorgt hat. Zusammen mit seiner Ehefrau Evi Romen hat er sich (wie einst Fritz Lang und seine Ehefrau Thea von Harbou) ans Drehbuch gemacht und hat die Geschichte von damals in der Länge verdreifacht.

Teile und Bilder aus Langs erstem Tonfilm wurden direkt übernommen, so der Luftballon mit Armen und Beinen, der davon fliegt, gleich zu Beginn der ersten Folge oder die Melodie "In der Halle des Bergkönigs" aus der Peer-Gynt-Suite, die immer wieder gepfiffen vorkommt. Teilweise wurden einige Dialoge so inszeniert, als hätten sie aus der Version von 1931 stammen können. Andere Teile wurden, allein schon der Länge wegen, erweitert oder neu erfunden. Um die Geschichte zeitgemäß zu erzählen, mussten natürlich auch die sozialen Medien eingebaut werden, die gleichermaßen von einem Verleger wie von der Politik für sich genutzt werden. Die meisten Figuren haben, wie im Original, keine Namen sondern nur Bezeichnungen, wie "Die Wilde", "Der Rote", "Die Hure", "Vater Elsie" oder "Der Fuchspelzmann". Das trostlose Zuhause der kleinen Elsie wird mit einer fast leeren, sehr spärlich eingerichteten Wohnung gezeigt. Die Serie spielt im Schnee und in weiten Teilen in der Nacht, wodurch die Verwendung von Farben in den über 100 Motiven auf ein Minimum reduziert wird, um so eine Referenz zu Langs schwarz-weiß Film aufzubauen, auf der anderen Seite aber auch, um die düstere Stimmung in Wien zu unterstreichen.

Bei der Besetzung der rund 130 Rollen wurde nicht gespart, und so sieht man hochkarätige Schauspieler bis in die kleinste Nebenrolle. Mit dabei sind neben Verena Altenberger, Dominikk Maringer, Julia Stemberger, Bela B., Juergen Maurer und Gerhard Liebmann auch Christian Dolezal, Lars Eidinger, Brigitte Hobmeier, Udo Kier, Sophie Rois oder Moritz Bleibtreu, eben die Crème de la Crème der deutschsprachigen Fernseh- und Filmlandschaft. Dabei hat man jedoch, bewusst oder unbewusst, vermieden, die Darsteller gegen den Strich zu besetzen, und so spielt Eidinger einmal mehr den Psychopathen, Bleibtreu den smarten Verleger, Rois die unbarmherzige Chefin der Unterwelt und Kier den dubiosen Mann.

Nicht ganz nachzuvollziehen sind die häufigen Auftritte von nackten Darstellern, die weder Handlung noch Serie weiterbringen, aber explizit gezeigt werden. Auch die abartigen Strafen der Unterweltchefin hätten nicht so ausführlich gezeigt werden müssen, denn vom ersten Augenblick an wird klar, dass wir es hier mit einer strengen und unnachgiebigen Chefin und Strippenzieherin zu tun haben.

Die zeitlose Geschichte über emotional geführte Debatten, für eigene Zwecke missbrauchte Ressentiments, grundlose Verdächtigungen und fälschliche Anprangerung, die Fritz Lang visionär im Vorfeld der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten inszeniert hat und damals bahnbrechend neue Techniken dafür eingesetzt hatte, neu zu verfilmen, war eine längst fällige Idee. Sie in eine Serie umzusetzen, war nun nicht die beste Entscheidung, zumindest nicht in sechs Teilen zu 45 Minuten. Die Produktion mit klangvollen Schauspieler-Namen zu krönen, ist verständlich, und macht auch in der Vermarktung der Serie einiges her, natürlich bietet sie auch ausreichend Potenzial für den Roten Teppich zur Weltpremiere anlässlich der diesjährigen Berlinale. Dabei herausgekommen ist ein Promi-Overkill, der weder Serie dienlich noch für die Besetzung zweckdienlich ist, wenn vor lauter Entdecken bekannter Schauspieler fast schon das Geschehen auf dem Bildschirm zur Nebensächlichkeit verkommt.

So bleibt am Ende nur eine Serie, die einen deutschen Film-Klassiker in Erinnerung ruft, der vor 88 Jahren so herausragend geschrieben und inszeniert wurde, dass er auch heute noch funktioniert, nicht aber als Sechsteiler. Die sechs Millionen Euro teure Produktion "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", die das ORF im Fernsehen, RTL aber zunächst nur im hauseigenen Streamingdienst TVNow zeigt, erreicht nicht die Klasse von Fritz Langs Werk, bietet jedoch viereinhalb Stunden soliden Krimi mit einer Vielzahl bekannter Namen.

Pascal May
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