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ELLE

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven war in den vergangenen vier Jahrzehnten für die Verfilmung besonderer Filmstoffe bekannt, darunter waren die Skandal-Filme "Türkische Früchte", "Basic Instinct", "Starship Troopers" oder "Total Recall", aber auch "Showgirls", "RoboCop" oder "Blackbook". Die französische Schauspielerin Isabelle Huppert ist für ihre sperrige Rollen bekannt. Eine spannende Kombination, wenn die beiden gemeinsam einen Film machen, wie es mit "ELLE" geschehen ist, und beide für ihre Arbeit weltweit mit Auszeichnungen überhäuft wurden. Nun ist dieses dramatische Meisterwerk, das auf dem Roman "Oh..." von Philippe Djian basiert, auch in Deutschland auf DVD und BluRay erhältlich.

Die rund 50-jährige Michèle liegt halbnackt auf dem Boden ihrer Pariser Wohnung. Gerade ist sie von einem maskierten Mann vergewaltigt worden. Da sie die Tochter eines landesweit bekannten Massenmörders ist, vermeidet sie es, diese brutale Straftat bei der Polizei anzuzeigen. Sie redet zunächst auch mit niemandem darüber, lässt lediglich die Türschlösser ihrer Wohnung austauschen und bewaffnet sich mit Pfefferspray und Axt. Sie pflegt weiterhin eine Affäre mit dem rücksichtslosen Ehemann ihrer Geschäftspartnerin Anna, mit der sie ein Label für Computerspiele betreibt, finanziert ihren Sohn Vincent, der in einem Fast-Food-Restaurant arbeitet und bald Vater wird, streitet mit ihrer Mutter, die eine weitaus jüngeren Liebhaber bei sich wohnen lässt, und lebt ein eher unauffälliges Leben. Im Haus gegenüber ziehen neue Nachbarn ein, der attraktive, junge Börsenmakler Patrick und dessen erzkatholische Frau Rebecca. Der Vergewaltiger meldet sich per SMS mit anzüglichen Nachrichten bei ihr und onaniert in ihrer Abwesenheit auf ihre Bettwäsche. Von ihrem Nachbarn Patrick fühlt sie sich angezogen und macht ihm während einer Weihnachtsfeier eindeutige Avancen.
Michèle wird erneut überfallen und bevor es zu einer Vergewaltigung kommen kann, verletzt sie ihren Peiniger mit dem Beil. Sie kann ihn enttarnen und ist über dessen Identität überrascht, womit aber ein gefährliches Spiel zwischen ihr und ihrem Vergewaltiger beginnt.

Der Film liegt in der deutschen und französischen Sprachfassung (Dolby Digital 5.1) vor. Extras sucht man auf der Silberscheibe vergeblich.

Das Thema des Films ist schon nicht gerade einfach. Regisseur Paul Verhoeven und seine Hauptdarstellerin Isabelle Huppert machen daraus einen schonungslos beklemmenden Film, der seinen Zuschauern einiges abverlangt und zeitweise nur schwer zu ertragen ist. Verhoeven kommt somit in bester Weise seinem Ruf nach, Geschichten fernab der normalen Erzählung zu verfilmen. Isabelle Huppert zählt ohnehin schon zu den besten Schauspielerinnen weltweit, doch mit ihrer Rolle als Michèle hat sie sich selbst übertroffen. Höchst unterkühlt, berechnend, stark und kompromisslos spielt sie das Vergewaltigungsopfer, das kein Opfer sein möchte und seinen Rachefeldzug vorbereitet und gewillt ist, diesen bis zur Erbarmungslosigkeit durchzuziehen. Sie trägt mit ihrer intensiven, extremen und durchdringenden Darstellung den Film und schafft es, trotz allen Dramas und Schrecken nuancierten Humor in die Handlung unterzubringen. Ohne Zweifel liefert sie in "ELLE" ein schauspielerisches Meisterstück, das zurecht mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen und einer Oscar-Nominierung ausgezeichnet wurde. Damit übertrifft sie selbst ihre Darstellung der selbstzerstörerischen Erika in "Die Klavierspielerin" um Längen.

Paul Verhoeven meldet sich nach zehn Jahren Abwesenheit mit "ELLE" zurück, der in seiner Intensität einem großen Knall gleich kommt. Dass allein das Thema auf eher schwer verträgliche Kost hinweist, ist augenscheinlich, was er in intensiver Zusammenarbeit mit der großen Isabelle Huppert erreicht, ist mehr als beeindruckend, extrem, brillant, bitterböse und so hallt der Film noch lange nach. Ganz sicher muss man diesen Film sehen wollen, um sich ganz darauf einlassen zu können. Nebenher an einem Samstag Abend mit Popcorn und Schnittchen taugt "ELLE" nicht für einen vergnüglichen Heimkinoabend.

Ursprünglich als Hollywood-Produktion gedacht, haben sich weder Geldgeber noch US-Darstellerinnen gefunden, diese fordernde Hauptrolle zu übernehmen. Isabelle Huppert war auch schon auf den Roman gestoßen, hatte Interesse an einer filmischen Umsetzung und sagte sofort zu, als der Regisseur ihr die Rolle der Michèle anbot.
Im Nachhinein ein Glücksfall, dass "ELLE" letztendlich doch noch eine europäische Produktion wurde.

"ELLE" ist kurzum ein filmisches und ein schauspielerisches Meisterwerk, das Maßstäbe im Kino gesetzt hat. Wer sich auf diese unvorhersehbare, extreme Achterbahnfahrt einlässt, wird am Ende sehr beeindruckt zurückbleiben.

Pascal May