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Die Anruferin

Was haben wir in den letzten jungen Jahren des Kinos nicht schon für Terror am Telefon miterleben müssen. Seien es Serienkiller aus der Scream-Trilogie oder Psychopathen, die es in fremden Telefonzellen klingeln lassen. „Nicht auflegen“ war dabei immer die Devise, aber warum sollte man auch, wenn doch nur ein kleines Mädchen am anderen Ende der Leitung sitzt?
„Wie weit gehst Du, wenn Du einsam bist?“ fragt das offizielle Kinoplakat zu „Die Anruferin“ und prahlt dabei mit Lobeshymnen und Festivalauszeichnungen. Irm Krischka (Valerie Koch) geht ziemlich weit. Mit verstellter Kinderstimme freundet sie sich mit wildfremden Frauen an, nur um ihnen später als „Vormund“ den Tod der vermeintlichen Tochter vorzugaukeln, und die traurigen - und überraschten - Gesichter auf der Beerdigung zu beobachten. Ihr bizarres Spiel treibt wilde Blüten, als sich ihr aktuelles Opfer Sina (Esther Schweins) mit der Telefonterroristin – unfreiwillig zunächst - anfreundet und ihr alsbald auf die Schliche kommt.
„Die Anruferin“ erzählt eine Geschichte von Familienunglück, Isolation und der Selbstfindung seiner Hauptdarstellerinnen und versucht sich dabei in so vielen Disziplinen wie möglich zu beweisen. Der Bogen wird von skurriler Komödie über den spannenden Thriller bis zum einfühlsamen Drama gespannt, doch dieser Spagat gelingt leider nur mäßig. Es ist gerade diese Gratwanderung, die „Die Anruferin“ aus dem Einerlei der deutschen Genreproduktionen hervorheben soll, doch was bei der Theatervorlage von Vera Kissel noch gut funktionieren mag, versagt auf Zelluloid. Zumindest partiell. Felix Randau's ruhige Inszenierung ist eine Wohltat im Schnittstakkato der Blockbusterwelle und vor allem Valerie Koch ist ein wirklicher Gewinn für den deutschen Film. So sind die 84 Minuten Laufzeit auch angenehm kurzweilig gestaltet, doch blieb der große Wurf leider aus. Ein ambitioniertes Projekt, das die hohen Erwartungen an sich selbst nicht erfüllen konnte.
Wie weit ich gehe, wenn ich einsam bin? Ins Kino in diesem Fall jedenfalls nicht, in die Videothek auf jeden Fall.

Pascal May