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Walt

In der verschlafenen Kleinstadt St. John’s im Bundesstaat Neufundland in Kanada arbeitet Walt in einem Supermarkt als Reinigungskraft. Ohne viel Freude, 50 Jahre alt und von der Frau seit einigen Jahren verlassen, lebt er so dahin. Seine Leidenschaft ist das Sammeln von Einkaufszetteln. Allerdings nicht seine eigenen sondern die der Kunden. Für ihn sind die Listen, die auf Post-its, Flyern oder auf der Rückseite von Kontoauszügen geschrieben sind, der einzige Kontakt zur Außenwelt. Unterbrochen wird dies nur ab und an, wenn die Polizei mal wieder vorbeischaut und ihn mit Fragen zum Verschwinden seiner Ehefrau nach der Trennung drangsaliert.
Seine Umwelt ignoriert ihn, übersieht aber, welche sensiblen Informationen sie ihm mit ihren Einkaufszetteln im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße werfen. Walt hat ein besonderes Auge auf die junge, zerbrechlich wirkende Alisha geworfen, die zu den Stammkunden des Marktes gehört. Natürlich haben sie bisher kein Wort miteinander gewechselt, aber Walt fühlt sich als ihr Beschützer und geleitet sie in sicherem Abstand ungesehen nach Hause. Ihr Privatleben verfolgt er über Facebook.
Parallel muss Inspector Dean Hill, der nach St John’s strafversetzt wurde, nachdem er die Trennung von seiner Frau nicht verkraftet hat, dort den Kollegen bei den sogenannten „Cold Cases“ unterstützend zur Seite stehen. Hier wird jede Hilfe gern genommen, da sie seit langer Zeit im Falle von einigen verschwundenen Frauen keinen Schritt weiterkommen.

Bisher feierte der kanadische Schriftsteller Russell Wangersky Erfolge mit Sachbüchern und Erzählungen. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet stand er auf der Shortlist des renommierten „Scotiabank Giller Prize“. Er lebt in St. John’s, Neufundland. Als Kolumnist arbeitet er für die Tageszeitung „The Telegram“. „Walt“ ist sein Debüt im Bereich Psychothriller.

Die Idee, Leute zu analysieren und deren Leben über Einkaufslisten zu erforschen, ist eine recht abgefahrene Variante. Geschickt, aber gelegentlich doch recht langatmig, zeigt Russell Wangersky auf, was alles mit solch banalen Information von einem Psychopathen daraus herausgelesen werden könnte. Zuweilen etwas sprunghaft, sicherlich so gewollt, in der Handlungsschilderung fühlt der Leser zunehmend die durch die Person Walt mehr und mehr aufkommende Beobachtungsangst auf die einzelnen Frauen. Es ist irgendwie beklemmend zu erfahren, wie leicht Informationen über die Kunden zu bekommen sind. Die drei Blickwinkel innerhalb der Story zeigen dies ebenfalls. Walt ist ein schlaues Kerlchen und keiner kommt ihm so leicht auf die Schliche.

Das Buch hat mich insgesamt aber nicht komplett überzeugt. Da wäre sicherlich von der Idee her mehr möglich gewesen. Vielleicht ist der Stil und die Story nicht jedermanns Sache, aber durchaus einen Versuch wert.

Michael Müller