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Verschwunden

Viele Leser können sich bestimmt noch an den tragischen Entführungsfall des jungen Bankiers-Sohn Jakob von Metzler erinnern. Der Fall erregte insofern Aufsehen, weil die damaligen Ermittler aufgrund ihrer rabiaten Verhörmethoden in die Schusslinie der Staatsanwaltschaft gerieten. Was für ein unheimlicher Druck auf den Profilern lasten muss, um zum Erfolg zu gelangen und wie schnell die Grenze zwischen legal und illegal überschritten werden kann, beschreibt Roderick Anscombe in seinem Psychothriller „Verschwunden“.
Erzählt wird der Psychothriller aus Sicht des Gerichtspsychiaters Paul Lucas, der zuerst eher zufällig in die Entführung der achtjährigen Danielle gerät. Seine Frau Abby ist in einer Sozialstation tätig. Danielle ist die Tochter einer der betreuten Frauen in der Station und geht dort ein und aus, bis auf diesen einen Morgen, als sie scheinbar spurlos verschwindet. Abby ruft ihren Mann zu Hilfe, sich ein Bild von der Sache zu machen und schnell steckt Paul Lucas in den Ermittlungen zum Fall. Ihm gelingt es, Informationen aus der einzigen Zeugin, einer schizophrenen Obdachlosen, herauszubringen und bald gibt es auch zwei Verdächtige.
Aber was tun, wenn beide Verdächtige plötzlich behaupten, selbstmordgefährdet zu sein und sich in die nahegelegene Psychiatrie einweisen lassen? Außerdem sind beide auf ihre eigene Art und Weise sehr gerissen und es ist ihnen eigentlich nichts nachzuweisen. Gegen die Ermittler läuft die Zeit. Es ist ein sehr heißer Sommertag und da beide Verdächtige in Gewahrsam sind, ist davon auszugehen, dass das Mädchen sich ohne jede Versorgung in ihrem Versteck befindet. Beide Täter wissen, ohne Leiche keine Tat und spielen auf Zeit.
Paul Lucas muss sich etwas einfallen lassen, um an die dringend benötigten Informationen heran zu kommen, und so beschließt er, die Rahmenbedingungen zu seinen Gunsten zu verändern. In der Nacht stattet er der Psychiatrie, seinem Arbeitsplatz, einen heimlichen Besuch ab und gestaltet das darauffolgende Verhör zu seinen Bedingungen. Aber wird er damit durchkommen? Schafft er es, den Hebel an der richtigen Stelle anzusetzen, oder scheitert er letztendlich an seinen skrupellosen Gegnern.
Roderick Anscombe hat ein beklemmendes Psychogramm geschaffen, von welchem man nur schwer loskommt. Spannend ist vor allem die Ich-Erzählweise, da sehr genau auf die Gedankengänge des Psychiaters eingegangen wird und man sich oft selbst überlegt, welche Fragen man nun wohl stellen könnte. Für Fans von psychoanalytischen Betrachtungen ein absolutes Muss.

Michaela Straube