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Ich hatte sie fast alle!

Seine journalistischen Stationen waren gleich nach seiner Ausbildung beim "Westfalenblatt" recht beachtlich. Nach seiner Zeit in der Provinz wechselte der junge Journalist Paul Sahner als Polizeireporter zur neu aufgestellten Redaktion der "BILD" München, bevor er Gesellschaftsreporter der Münchner "tz" wurde. Um mehr Geld aus seinem Talent, jeden Promi dazu zu bringen, intime Geschichten zu offenbaren, zu machen, arbeitete er danach frei für "Stern", "Hörzu" und "Abendzeitung", bevor er Chefredakteur des Playboy-Konkurrenten "Penthouse" wurde. Nur zwei Jahre später wechselte er zur "BUNTE"-Redaktion, wo er bis zu seinem Tod als Chefreporter und Mitglied der Chefredaktion arbeitete. Die Berliner "taz" nannte ihn einmal den "Gottvater der Intimbeichte", weil Menschen schnell zu ihm Vertrauen fassten, und ihm Einblicke in ihr Leben gaben. So kommt es, dass er sich für seine Autobiographie den Titel "Ich hatte sie fast alle!" aussuchte.

Sein Handwerk hat Paul Sahner Ende der 1960er Jahre in Westfalen gelernt, als er sein Volontariat beim "Westfalenblatt" absolvierte, doch schon bald wollte er in die große Stadt, wollte etwas erleben und darüber schreiben. Als ihn ein Anruf aus Hamburg mit der Nachricht erreichte, dass in München eine Redaktion der damals berüchtigten "BILD"-Zeitung aufgebaut werden sollte, sagte er sofort zu und erledigte den schnellsten Umzug seines Lebens. Dort angekommen, tauchte er ein in die Szene-Welt, ließ kaum eine Party aus, rauchte bis zu 80 Zigaretten am Tag, frönte dem Alkohol ebenso wie den Frauen. Nach seinem Wechsel zur "tz", bei der er für Promi-Klatsch zuständig war, war er endlich da angekommen, wo er immer hin wollte: Er war ein Teil von Schwabing, wo das Leben pulsierte und sich die Stars die Klinke in die Hand gaben. Er lernte Andy Warhol kennen, war seit Anfang der 1970er Jahre mit Udo Jürgens befreundet, reiste um die Welt von einer Party zur nächsten, interviewte Weltstars wie Sophia Loren, Klaus Kinski, Jack Nicholson, Michael Jackson, Richard Gere und Woody Allen ebenso wie den damaligen Kardinal Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI., den Dalai Lama oder Nelson Mandela. Immer dabei hatte er sein Diktiergerät, egal wohin er sich bewegte, weil es ja sein konnte, dass ihm beim Einkaufen ein Promi über den Weg kommt, um ihm aus seinem Leben zu erzählen. Es war die Zeit vor dem Internet, vor AIDS und Handys, als man Weltstars noch ohne Bodyguards antraf, sich mit ihnen hinter der Bühne austauschen oder nach einem Konzert zu einem Absacker treffen konnte. Mit den meisten dieser Promis ist er zusammen älter geworden, hat sie durch Höhen und Tiefen begleitet.

Durch seine einfühlsamen Fragen, seine weiche Stimme und seine treuen Augen knackte er nahezu jeden Star, den er vor sein Diktiergerät bekommen konnte, und erarbeitete sich damit einen wohlklingenden Namen in der Branche und einen festen Platz in der Promi-Szene. Daneben hat er Bücher geschrieben, darunter über Pink Floyd, The Who oder Karl Lagerfeld. Letzterer nahm jedoch offiziell keine Notiz von diesem Buch.
Paul Sahner war es, der den damaligen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping zu Fall brachte, als Scharping sein neues Glück mit seiner Gräfin planschend im Pool dokumentieren ließ. Sahner musste nur noch die Kamera drauf halten und brachte den turtelnden Minister auf den Titel der "BUNTE", der kurz darauf aus dem Kabinett entlassen wurde. Sahner war es, dem Udo Jürgens eines nachts offenbarte, mit welchem Körperteil er mitunter denkt, oder dem Inge Meysel offenbarte, dass sie ihr Leben selbst zu beenden gedenkt. Er war es auch, den Helmut Berger nackt im Bett haben wollte. Sahner war es auch, den Boris Becker am liebsten mit einem Mühlstein im Starnberger See versenkt hätte, und der am schwedischen Königshof Hausverbot hatte. Er hatte sie wirklich fast alle, insgesamt hat er es so auf über 3.000 Interviews und Promi-Geschichten gebracht.

Kurz nach dem Tod von Udo Jürgens erschien Sahners Buch über seine Begegnungen mit dem österreichischen Musikstar, den er fast sein ganzen Leben über begleitet hatte und den kaum jemand so gut kannte, wie er. Kurz nachdem er dann seine eigene Autobiographie fertig gestellt hatte, starb Paul Sahner im Juni diesen Jahres im Alter von 70 Jahren nach einem Herzinfarkt in seinem Landhaus in Marquartstein.

"Ich hatte sie fast alle!" bietet einen kleinen Einblick in das Leben eines deutschen Gesellschaftsreporters, der durch harte Arbeit und etwas Glück zu einem festen Größe in der Promi-Welt und deren Berichterstattung wurde, ein ungewöhnlich privater Einblick in das Leben von einem, der sonst immer nur über andere berichtet hat. Etwas nervig erscheint jedoch die Einbindung Sahners Katze Socki, die ihn interviewt, alte Unterlagen auf dem Dachboden sichtet oder eigene Tagebucheinträge verfasst, was den Lesefluss durchaus hemmt. Vermutlich können nur Katzenfreunde und Katzenbesitzer nachvollziehen, wie man einem Haustier die Hälfte eines Buches überlassen kann, denn das Ergebnis ist nun nicht wirklich umwerfend, was Socki, abgesehen von ihrem riesigen Appetit auf möglichst blutige Kalbsleber und ihrem Bedürfnis nach Streicheleinheiten, so von sich gibt.

Auch wenn die Berichte über Sahners Erlebnisse mit der Promiwelt bekannt unterhaltsam geschrieben sind, bleiben sie dennoch sehr an der Oberfläche, denn an Stellen, an denen es gerade richtig interessant wird, wechselt er das Thema oder Socki mischt sich ein.
Dennoch ist "Ich hatte sie fast alle!", trotz ein paar Ungenauigkeiten, ein sehr interessantes und kurzweiliges Vermächtnis des Journalisten mit dem selbst ernannten Titel "Deutschlands schönster Kolumnist" geworden, das dem Kenner der Promi-Szene manche Zusammenhänge erklärt und hier und da neue Einblicke in die Welt der Stars und Sternchen gewährt.

Pascal May