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Der Totengräber und der Mord in der Krypta

Wien ist immer eine Reise wert. Das war auch schon im Wien von 1895 so. Eine etwas gruselig wirkende Attraktion ist die Besichtigung der unter dem Stephansdom liegenden Gruft, um sich dort in feuchtmodrig riechendem Kerzenlicht Knochen und Schädel mit der einen oder anderen damit verbundenen Geschichte anzusehen. Zum Entsetzen der Gruppe finden sie dort auch eine männliche Leiche, das Gesicht schrecklich verzerrt und entsetzt aussehend, aber ansonsten unversehrt. Hatte der Mann in dieser unheimlichen Umgebung einfach „nur“ einen Herzinfarkt oder fiel er gar einem Verbrechen zum Opfer? Ein neuer Fall für Inspektor Leopold von Herzfeldt, der die Ermittlungen aufnimmt und dazu auch wieder den Rat von Augustin Rothmayer sucht, denn keiner kennt sich besser mit dem Sterben aus als er. Denn Rothmayer ist schließlich der Totengräber vom Zentralfriedhof. Der Tote, ein stadtbekannter Arzt, so ergeben die Untersuchungen im gerichtsmedizinischen Institut, wurde tatsächlich vergiftet. Dieses Ergebnis bringt die Ermittler auf eine Spur, da das Opfer in der Vergangenheit immer wieder Betrüger überführt hatte. Im Rahmen von spiritistischen Sitzungen hatten diese immer wieder vorgegeben, mit Geistern kommunizieren zu können. Für Leopold liegt auf der Hand, dass sich der Mann damit einige Feinde gemacht hat. Doch wird man deswegen gleich umgebracht? Als er sich Rat beim Todesexperten Rothmayer im Fall des äußerlich kein Haar gekrümmten verstorbenen Arztes holen will, bittet dieser ihn ebenfalls um Unterstützung in einer Recherche, in die er gerade selbst verwickelt ist. Der Totengräber hat von seiner Ziehtochter Anna erfahren, dass immer wieder Kinder aus einem der städtischen Waisenhäuser verschwinden, was scheinbar niemand zu interessieren scheint. Die ersten Gespräche, die die beiden mit den Verantwortlichen führen, führen zu keinem Ergebnis und laufen ins Leere. Je tiefer jedoch der Totengräber und der Inspektor graben, umso deutlicher wird, dass sie damit einem schrecklichen Verbrechen auf der Spur sind. Ohne, dass beide es ahnen, stellt sich Stück für Stück heraus, dass es wohl eine besondere Verbindung zu diesen beiden Fällen gibt.

Oliver Pötzsch, geboren 1970, hat nach erfolgtem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Als Autor lebt er heute mit seiner Familie in München. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus wurde er mit seinen historischen Romanen bekannt. Insbesondere die Bände der „Henkerstochter“-Serie sind internationale Bestseller und in über 20 Sprachen übersetzt worden. Mit seiner „Totengräber“-Reihe landet er ebenfalls regelmäßig auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Fall Nummer drei für das doch so unterschiedliche Ermittlungsduo im alten Wien. Dieses Mal geht es um Seancen, also spiritistische Sitzungen, und ob diese in Verbindung mit einem Mord samt Leiche stehen. Unsere Hauptprotagonisten sind uns zwar schon weitgehend vertraut, doch so einiges Privates ist uns bisher, natürlich geschickt vom Autor geplant, vorenthalten worden. Neben dem Fall werden wir nun auch in diesem Bereich ein Stückchen schlauer und Oliver Pötzsch versteht es gekonnt, diese Informationen gewinnbringend in die Geschichte einzuflechten. Wie immer sehr gut recherchiert gelingt es ihm, ein anschauliches Sittenbild des endenden 19. Jahrhunderts zu zeigen, in dem Themen wie Antisemitismus und Sozialkritik, wie auch Frauenrechte und neue technische Errungenschaften, nicht zu kurz kommen. Damit sind sowohl spannende wie auch informative 25 Kapitel auf 528 Seiten garantiert und es macht nach wie vor Laune, Leopold von Herzfeldt und Augustin Rothmayer bei ihrer Ermittlungsarbeit zu begleiten. Die wiederum reichhaltig vorhandenen unerwarteten Wendungen bei der Tätersuche sind reizvolle perfekte Teile dieses erneut lesenswerten historischen Kriminalromans. Auch wenn es sich um einen in sich geschlossenen Fall handelt, empfehle ich die Bücher der Reihe nach zu lesen, da dies für manche Hintergrundinformation sehr hilfreich ist. Die am Anfang des Buches aufgeführte „Dramatis Pesonae“ ist ein gelungenes Beiwerk für Neueinsteiger oder falls wider Erwarten doch mal eine kleine Lesepause eingelegt worden ist, um so immer auf aktuellem Stand der im Buch vorkommenden Akteure zu bleiben. Das Glossar der wienerischen Begriffe rundet auch dieses Mal ein in meinen Augen sehr fesselndes Buch ab. Ich habe auch diesen Fall komplett genossen und schaue voller Spannung schon dem nächsten Buch mit einem schrecklichen Mord im alten Wien entgegen.

Michael Müller
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